Bilder der NS-Deportationen
Erst- und letztmals wurde ein Korpus an Deportationsfotografien im wichtigen Band Vor aller Augen. Fotodokumente des nationalsozialistischen Terrors in der Provinz (2001) von Klaus Hesse und Philipp Springer erstellt. Diese Forschungen bildeten, verbunden mit den von Frank Reuter in Der Bann des Fremden. Die fotografische Konstruktion des „Zigeuners“ (2014) vorgelegten Erkenntnissen, den Ausgangspunkt für unsere Recherchen. Beim Projektstart von #LastSeen war uns daher bekannt, dass aus mindestens 31 Orten Bilder von Deportationen überliefert sind. Auf den Fotografien aus 27 Orten sind als Jüdinnen und Juden verfolgte Personen abgebildet, bei vier Orten sind die Bilder im Rahmen des Porajmos entstanden.
Zu Beginn der ersten Förderphase des Projekts haben wir über 1.500 Archive in Deutschland kontaktiert – aus den Rückläufen konnten neben einigen Fotofunden auch zahlreiche weiterführende Informationen gewonnen werden. Parallel haben wir eine systematische Sichtung der fachwissenschaftlichen und sogenannten grauen Literatur vorgenommen. Oft wurden wir in lokalgeschichtlichen Publikationen mit kleiner Auflage fündig. Ebenso wurden digitale Repositorien, wie die Fotodatenbank von Yad Vashem oder des United States Holocaust Memorial Museum durchsucht. Wichtige Hinweise stammen auch von Fachkolleg:innen, lokalen Gedenkinitiativen und aus der interessierten Öffentlichkeit. Noch immer erhalten wir Hinweise auf weitere Bilder, da die Veröffentlichung des Bildatlas den Blick auf das Deportationsgeschehen geschärft und zu neuen Funden beigetragen hat. Es handelt sich um Aufnahmen, die bisher beispielsweise falsch zugeordnet waren oder sich in noch nicht katalogisierten Beständen einzelner Archive befinden.
Fotografien benötigen Kontext, um als historische Quellen genutzt werden zu können. Daher werden alle im Projekt publizierten Bilder von unserem Forschungsteam wissenschaftlich erschlossen: Informationen über die Entstehung und Überlieferung der Fotografien werden gesammelt, Analysen der Bildinhalte finden in Verbindung mit dem historischen Wissen über die Ereignisse statt. Das Foto wird ganzheitlich als Dokument betrachtet, daher werden auch Rück- und mögliche Kontextseiten (z.B. aus Fotoalben) in die Analyse einbezogen und im Bildatlas präsentiert. Sollte es möglich sein, Personen zu identifizieren, werden diese mit Biografien und bestenfalls personenbezogenen Quellen im Bildatlas sichtbar gemacht. Die Erschließung der Bildinhalte ist Fundament für unser Filtersystem, welches die Fotografien unter verschiedenen Gesichtspunkten sortierbar und durchsuchbar macht. Es ist für den Bildatlas zentral, Bilder räumlich zu verorten: Sämtliche Fotos werden georeferenziert und können standortgenau in der jeweiligen Karte betrachtet werden. Somit stellt der Bildatlas gleichzeitig eine digitale Edition als auch eine interaktive Ausstellung dar und kann sowohl zu Bildungs- als auch zu Forschungszwecken genutzt werden.
Gemeinsam mit der Digitalagentur &why und unter Beteiligung von Schülerinnen und Schülern haben wir in der ersten Projektphase von #LastSeen ein digitales Bildungsangebot zum Thema Deportationen aus dem Deutschen Reich entwickelt. Es handelt sich um ein browserbasiertes Lernspiel – ein so genanntes Serious Game – in dem die Nutzenden anhand einer Serie von Deportationsfotografien selbstständig Wissen über die historischen Ereignisse rekonstruieren und sich aneignen. Es liegt ein Schwerpunkt darauf, die Kompetenz der Schülerinnen und Schüler im Umgang mit Fotografien zu schulen. Bisher existieren zwei Versionen des Spiels, Verbesserungen und weitere Entwicklungen sind geplant.
Bereits in der ersten Projektphase haben wir mit unserer Webinar-Reihe ein regelmäßiges Format für den Wissenstransfer und den Austausch mit der fachwissenschaftlichen Community und der interessierten Öffentlichkeit etabliert. Mit dem Beginn des Wintersemesters 2023/2024 wurde die Reihe weiter systematisiert und nun als digitale Veranstaltungsreihe konzipiert, welche jedes Semester ein anderes projektbezogenes Thema behandelt. In diesem Format werden kurze Vorträge von Expert:innen mit einer offenen Diskussion kombiniert. Die Teilnahme ist kostenlos und steht allen Interessierten offen.
Digitale Projekte sind immer work in progress. Dies gilt für #LastSeen in besonderem Maße. In der aktuellen Förderphase wird der Bildatlas konsolidiert, die bisher bekannten Serien aus dem Gebiet des Deutschen Reichs in den Grenzen von 1937 werden sukzessive erschlossen und digital veröffentlicht. Wir beginnen zudem mit ersten geografischen Erweiterungen: Bilder aus Österreich und dem sogenannten Sudetengebiet sollen in das Konvolut aufgenommen werden. Die aktuelle thematische Erweiterung betrifft die Fotografien von Transporten im Kontext der NS-„Euthanasie“. Parallel wird unser Bildungsangebot weiterentwickelt und eine Wanderausstellung ist geplant. Über die Entwicklung des Projekts informiert Sie unser Newsletter. Sollten Sie Fragen zum Projekt haben, uns auf Bilder aufmerksam machen wollen oder Feedback geben, laden wir Sie ein sich per E-Mail an lastseen@zedat.fu-berlin.de zu wenden.
Das Titelbild zeigt das Foto einer Deportation von 20 Jüdinnen und Juden am 13.04.1942 aus Brandenburg an der Havel (Bild: Stadtarchiv Brandenburg an der Havel)
Kooperationsverbund #LastSeen.
Bilder der NS-Deportationen
Dr. Alina Bothe
Projektleiterin
c/o Selma Stern Zentrum für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg
Freie Universität Berlin
Habelschwerdter Allee 34A
14195 Berlin
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